Emil

Mit einem Diabetes leben – schon in jungen Jahren

Diabetes Typ 1 ist eine Erkrankung, die sich grundsätzlich von dem, was wir von älteren Menschen kennen, unterscheidet. Diese Krankheit ist auf ein nicht heilbares Versagen der Zellen in der Bauchspeicheldrüse zurückzuführen, die das Hormon Insulin produzieren und meist im Kindes- und Jugendalter beginnt. Warum diese Krankheit ausbricht, ist weitestgehend ein Rätsel und hat nichts mit falscher Ernährung oder Bewegungsmangel zu tun. Heute gibt es viele technische Unterstützungsmöglichkeiten, damit die betroffenen Familien damit umgehen können. Dennoch bringt dies auf den verschiedenen Ebenen Herausforderungen mit sich. 

Diabetes bei Kindern und Jugendlichen nimmt zu. Jugendliche, aber auch schon die Kleinsten, sind davon betroffen. Die Kinderspitex begleitet die betroffenen Familien in den Anfangszeiten und setzt alles daran, dass die Kinder und Jugendlichen so bald wie möglich selber in der Lage sind, mit dem ganzen Diabetes-Management umzugehen.  Dieses Befähigen ist für uns als Kinderspitex zentral, denn die Kinder werden ihr Leben lang damit konfrontiert sein, und je schneller sie damit klarkommen, umso mehr Handlungsspielraum und Freiheiten können sie wieder wahrnehmen. 

Doch wie spielt sich dies aus der Sicht von Betroffenen ab? Emil, 8 Jahre alt, gibt uns gerne Auskunft und erzählt: 

Emil, du bist seit gut drei Jahren Diabetiker. Wie hat sich dein Leben seither verändert?

Ich habe mich an den Diabetes gewöhnt, die Krankheit gehört zu meinem Leben.

Was hilft dir, deinen Diabetes zu akzeptieren?

Ich habe es einfach akzeptiert. Ich gehe auch sehr offen damit um. Für mich ist es nichts Spezielles mehr. Natürlich gibt es manchmal gute und schlechte Tage und das wird aber in der Familie thematisiert. Das gehört auch sonst zum Leben.

Du hast seit einiger Zeit eine Insulinpumpe, welche sogar selber «mitdenkt» und dir aufgrund deines Gewebezuckers und mit Eingabe der Kohlenhydrate, die du isst, die nötige Insulinmenge abgibt. Ist das eine Erleichterung für deinen Umgang mit dem Diabetes?

Ja, beim Spritzen früher mit dem PEN war es manchmal mühsam mit dem Auf- oder Abrunden auf 0.5 Einheiten Insulin. Mit der Pumpe muss ich nun nur noch die Menge an Kohlenhydraten eingeben und die Pumpe rechnet automatisch. Die Pumpe rundet auf 0.1 Einheiten und somit kann die Insulinmenge genauer an das Essen angepasst und nicht das Essen ans Insulin angepasst werden.

Was hat sich dadurch vereinfacht?

Ich muss nur noch die Kohlenhydrate berechnen und eingeben. Das Insulin wird dann durch die hinterlegten Formeln in der Pumpe direkt ausgerechnet, und ich muss es nur noch für die Abgabe bestätigen.

Macht es dir Spass auf dem Handy mit dieser Technik umzugehen oder ist es manchmal auch eine Belastung, dass da immer dein Glucosewert angezeigt wird, um den du dich kümmern musst?

Mittlerweile habe ich eine Smart-Watch und diese vibriert, wenn mein Glucosewert eine Massnahme erfordert. Ich merke es viel schneller als mit dem Handy, da ich die Uhr am Handgelenk trage. Meine Mutter macht sich mehr Sorgen als ich, wenn die Werte nicht gut sind. Mich belastet es nicht gross.

Wenn du beim Mittagstisch der Schule zu Mittag isst, dann kommt ja jeweils eine Mitarbeiterin der Kinderspitex und hilft dir beim Ausrechnen deiner Mahlzeit. Wie fühlst du dich in dieser Situation? Was würdest du daran ändern, damit es für dich angenehmer ist, dort zu essen?

Ich bin es schon gewöhnt, für mich braucht es keine Änderungen.

Gibt es etwas, was du anderen Kindern über den Diabetes sagen möchtest oder den Umgang mit dir?

Die Kinder in der Klasse wissen Bescheid, sie erkundigen sich manchmal wegen meines Handys und wenn ich ihnen erkläre, dass es wegen des Diabetes ist, reicht das für sie als Info. Das Handy wird für das Diabetesmanagement bzw. die Insulinpumpe benötigt.


Wie Emil bereits erwähnt hat, betrifft die Erkrankung nicht nur ihn, sondern auch die Eltern, die sich Sorgen machen respektive genau wissen müssen, wann sie ihrem Kind was zutrauen können. Die Mutter von Emil erzählt gerne davon:

Frau Osterwalder, was sind die Herausforderungen mit einem Kind mit Diabetes im Alltag? 

Der Diabetes begleitet uns 24/7. Es ist schwierig, sich abzugrenzen, wenn Emil nicht bei uns ist, da seine Glucosewerte auch immer auf die App auf meinem Handy geschickt werden. Dasselbe gilt für die Nacht. Ich werde mehrmals geweckt, wenn der Sensor Alarm schlägt und dies häufig nur, weil er auf dem Arm mit dem Sensor gelegen ist und dies den Wert verfälschen kann. Letztendlich ist der Blutzucker in Ordnung. 

Es hängt sehr von den Betreuungspersonen (z.B. Lehrer; Praktikanten, Assistenten) ab, inwieweit ich Verantwortung abgeben kann. Aktuell läuft es sehr gut in der Schule und ich bekomme nicht so viele Anrufe. 

Die Massnahmen bei immer wieder hohen oder sonst nicht nachvollziehbaren Werten bleiben eine Herausforderung. Es ist nicht immer einfach, herauszufinden, woran es liegt. 

Emil möchte manchmal auch den Wechsel von Sensor oder Kanüle herausschieben und da helfen klare Abmachungen betreffend Häufigkeit. 

Ich bin sehr froh um den Austausch mit anderen Eltern, z.B. «Swiss Diabetes Kids» (Das ist ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Familien mit Kindern und Jugendlichen mit Diabetes Typ 1). Da erhalten wir immer wieder Tipps oder technische Unterstützung, wie z.B. das Installieren der App auf der Smart-Watch, sodass der Glucosewert direkt auf dem Display erscheint. Das war nicht ganz einfach.

Was sind die Herausforderungen in der Organisation und Koordination mit der Kinderspitex und dem Mittagstisch?

Da die Kinderspitex-Planungen relativ früh laufen und unsere Ferien manchmal sehr kurzfristig sind, ist es schwierig, rechtzeitig betreffend Bedarf Bescheid zu geben. 

Was würde Ihnen helfen?

Mittlerweile ist es hilfreich, dass wir unsere Ferien selber früher festlegen.

Wie erleben sie die neuste Entwicklung mit den selber denkenden Insulinpumpen? 

Es ist eine tolle Unterstützung, es vereinfacht grundsätzlich die Handhabung. Teilweise ist aber auch nicht ganz nachvollziehbar, was die Pumpe «überlegt» hat, bzw. wie der Algorithmus funktioniert. Zwischendurch braucht es auch noch zusätzliche Korrekturen. Es macht das Leben einfacher mit Pumpe, da relativ spontan etwas gegessen werden kann und entsprechend Insulin abgegeben wird. 

Gibt es auch Momente, in denen sie aus der ganzen Situation positive Aspekte ziehen können? 

Das Bewusstsein über Auswirkungen von Essen auf den Körper wird durch die Infos über den Umgang mit dem Diabetes gefördert. Es bewirkt ein bewusstes Anschauen der Nährwertdaten bei den Nahrungsmitteln. 

Beide Kinder sind sehr offen gegenüber Kindern mit anderen Beeinträchtigungen. 

Und welche Herausforderungen stellt die Arbeit mit Kindern mit Diabetes an die Pflegenden der Kinderspitex? 
Für uns Pflegefachpersonen hat sich die Herausforderung im Umgang mit dem Diabetes in den letzten Jahren stark verändert. Früher gab es nur ein System. Das Insulin wurde mit einem Pen (Injektion) gespritzt und der Blutzucker wurde mit einem einheitlichen Messgerät mit einer Blutprobe über einen Fingerpieks gemessen. Der Glucosewert wird nun mehrheitlich im Gewebe gemessen, als so genannter Gewebezucker. Diese Sensoren kommunizieren in unterschiedlichen Weisen mit einer App auf dem Handy und/oder einer Insulinpumpe. Heutzutage gibt es einige Modelle von Insulinpumpen und es gibt auch immer noch Kinder, die einen Pen benutzen. Diese Technik ist eine Herausforderung, da es sehr viele Möglichkeiten gibt, die entsprechenden Geräte zu bedienen. Es gibt zwar Standards, doch jedes Kind braucht individuelle Vorgehensweisen, die wir in unserer Pflegeplanung aufnehmen. Dies ist eine wichtige Grundlage, damit die Pflegenden im Einsatz wissen, was sie zu tun haben und wie sie das jeweilige Gerät beim betroffenen Kind bedienen müssen. 

Das Einholen von ärztlichen Verordnungen ist eine grosse Herausforderung, dies auch, weil es immer laufende Veränderungen gibt. Es kann vorkommen, dass die schriftliche Verordnung, bis diese bei uns angekommen ist, allenfalls schon wieder überholt ist. Diabetes bei Kindern ist ein dynamisches Geschehen und es braucht ein hohes Mass an Kommunikation und Absprache, da wir als Pflegende für alle medikamentösen Verabreichungen eine schriftliche Arztverordnung brauchen. 

Ein wichtiger Teil bei der Berechnung des Insulins für eine Mahlzeit sind die Kohlenhydrate. Es gibt zwar diverse Broschüren und Listen dazu, doch gerade gemischte Gerichte bedeuten eine besondere Herausforderung. Zum Glück können wir jeweils auf die Unterstützung der Eltern, der Ernährungsberatung und/oder der Diabetesberatung zählen.

Der Anspruch an die Pflegenden ist nicht nur das Berechnen und das Bedienen der Technik, sondern der Ablauf muss auch sehr schnell gehen. Das Essen ist schon parat, wenn wir in den Einsatz kommen und die Kinder sind hungrig und wollen gleichzeitig mit den anderen Kindern essen.

Deshalb ist Erfahrung im Umgang mit Diabetes unabdingbar und jede Pflegende, die neu in ein Team kommt, wird entsprechend geschult. Genauso gehören Beratung und Anleitung von Familien, Grosseltern oder Mitarbeitenden von Schulen und Mittagstisch zu unseren Aufgaben. 

Diabetes nimmt zu und so sind wir alle gefordert, gemeinsam mit den Familien, Schulen und vor allem den betroffenen Kindern dafür zu sorgen, dass die Selbstständigkeit gefördert wird. Denn nur so können wir gewährleisten, dass die Kinder mit Diabetes die Verantwortung übernehmen können – und dies ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um sich durch diese gesundheitliche Beeinträchtigung im Alltag nicht einschränken zu lassen. 

Wir bedanken uns für das wertvolle Gespräch und wünschen der Familie alles Gute.

Gespräch und Text Margreth Bossart und Nicole Valentin