Julia

Wenn die Psyche leidet…. Der Weg von Julia zurück in den Alltag.

Die Kinderspitex übernimmt die professionelle Pflege und Begleitung nicht nur bei Kindern mit einer körperlichen Erkrankung. Unser Team Psychiatrie leistet jeden Tag viele Einsätze, um auch Kinder und Jugendliche mit einer psychiatrischen Krankengeschichte auf ihrem Weg zu unterstützen. Julia und ihre Familie gewähren uns einen Einblick. Die Eltern möchten damit sensibilisieren und aufzeigen, dass es keine Schwäche ist, in einem solchen Moment professionelle Hilfe von aussen zu holen. 

Wir sitzen zusammen mit den Eltern am Tisch und sie erzählen von einem Weg, der für sie viele Herausforderungen bis hin zur Überforderung bereithielt. Während des Gesprächs kommt Julia in die Küche, sie wirkt aufgestellt, packt ihre Schulsachen und wechselt ein paar Worte mit uns. Ein ganz normaler Schulmorgen. Nichts weist darauf hin, dass dies längst nicht immer so war und der Leidensweg von Julia die ganze Familie betroffen hat. 

Julia geht in die Oberstufe. Sie litt unter einer Angststörung, die von Hyperventilation, Bauchschmerzen und Schwindel begleitet wurde. Zwangsstörungen, die auf einem intensiven Kontrollbedürfnis basierten, verschärften ihren Leidensdruck zusätzlich. Was anfänglich als etwas abgetan wurde, was mit einem gewissen Druck und in der Familie als zu bewältigen wirkte, wurde zu einer massiven Krise, die einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer Fachklinik notwendig machte. Auch wenn dies ein einschneidender Moment für die Eltern war, sind sie heute dennoch dankbar, dass es ihnen gelungen ist, diese Hilfe anzunehmen und sich auf diese Behandlung einzulassen. Zum einen erforderte dies das Einlassen darauf von Julia selbst, aber auch die Eltern mussten lernen, loszulassen und Vertrauen in die Hilfe von aussen aufzubauen. So gelang es Julia, langsam Stabilität zu entwickeln, sie wurde jedoch weiterhin durch den Druck belastet, in der Schule „funktionieren“ zu müssen. Die Angst, durch längere Fehlzeiten eine Wiederholung des Schuljahres nicht vermeiden zu können, war für Julia eine zusätzliche Stressquelle, die ihre Angststörung verstärkte. Trotz dieser enormen Belastung zeigte sie grossen Einsatz und Engagement, um den Schulstoff aufzuholen und ihre Leistungen zu halten. 

Ab hier kommt nun die Kinderspitex zum Einsatz. Die aufsuchende Psychiatrie der Kinderspitex Nordwestschweiz ermöglichte eine Betreuung und gezielte Pflege von Julia in ihrem sicheren häuslichen Umfeld, was besonders bei Angststörungen und somatischen Beschwerden wichtig ist. Indem Stressoren wie neue Umgebungen oder lange Anfahrtswege vermieden wurden, konnte Julia sich direkt auf die Therapie einlassen. Die Kinderspitex setzte evidenzbasierte Methoden wie Achtsamkeitstraining und kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Exposition und Reaktionsmanagement ein. Diese Ansätze wurden schrittweise an Julias Alltag angepasst. Beispielsweise wurde sie vor belastenden Situationen wie dem Schulweg begleitet, und es wurden Übungen direkt integriert, um Ängste zu begrenzen. Fachlich war die enge Begleitung in angstauslösenden Momenten entscheidend, um den Erfolg nachhaltig zu festigen.

Neben der direkten Arbeit mit Julia unterstützte die Kinderspitex auch die Familie als tragendes soziales Umfeld. Die Eltern und die jüngere Schwester wurden aktiv einbezogen und mit Strategien ausgestattet, um Julia im Alltag zu stärken und die familiäre Dynamik zu entlasten. Die Betreuung zu Hause stärkte das Vertrauen in die therapeutische Arbeit und ermöglichte es Julia, in ihrem gewohnten Umfeld Fortschritte zu machen. Gleichzeitig konnte durch die Einsätze der Kinderspitex familienzentriert gearbeitet werden, so dass familiäre Konflikte oder Überforderung ernst genommen wurden. Die Eltern konnten nach dem Vertrauensaufbau die Begleitung ihrer Tochter den Pflegenden der Kinderspitex anvertrauen. Dies war zum einen für Julia eine Möglichkeit, mit ihren Einschränkungen zu arbeiten und dennoch auch nicht ihre Eltern voll und ganz damit zu konfrontieren. Dieser ganzheitliche Ansatz sorgte für eine engmaschige Unterstützung, die soziale Ressourcen aktivierte und langfristig stabilisierte. Mitunter konnten so weitere Klinikaufenthalte verhindert werden. 

Heute geht die Familie gestärkt aus der Situation heraus, doch es liegen mehrere Jahre intensiver Belastungen hinter ihnen. Diese Erfahrungen haben die Eltern aufgefordert und angeregt, sich mit ihrer Rolle als Eltern als auch der eigenen Resilienz zu befassen. Ein Wissen und Erfahrungshintergrund, den sie auch mit anderen betroffenen Familien austauschen und teilen. Insbesondere die Mutter begleitet heute andere Mütter mit gefühlsstarken Kindern in ihrer Resilienz und Entspannung. Mehr Informationen unter: 

Die Mitarbeitenden der Kinderspitex vermitteln Achtsamkeits- und Stressbewältigungsstrategien, die nicht nur theoretisch gelehrt, sondern direkt in belastende Alltagssituationen integriert werden können. Ergänzt wird dies durch Expositionstraining und so konnte Julia mutig mit Übungen, bei denen sie die Kontrolle bewusst losließ und zwanghafte Reaktionen unterdrückte, zunehmend anwenden. Die kontinuierliche, aufsuchende Begleitung ermöglicht es, aufkommende Ängste sofort aufzugreifen und therapeutische Fortschritte nachhaltig zu sichern. 

Die aufsuchende Psychiatrie-Spitex bietet nicht nur effektive, sondern auch kosteneffiziente Lösungen. Durch die Betreuung im häuslichen Umfeld wurden stationäre Aufenthalte vermieden oder deutlich reduziert, was erhebliche Kosten für das Gesundheitssystem einsparte. Darüber hinaus ermöglichte die Flexibilität der Kinderspitex, dass Julia weiterhin ihren schulischen Verpflichtungen nachkommen konnte, wodurch langfristige Bildungsausfälle und deren möglichen finanziellen Folgekosten verhindert wurden.

Heute kann Julia wieder zur Schule gehen und einen fast normalen Alltag leben. Ihre Einschränkungen werden medikamentös begleitet und ihre Eltern haben sich zusammen mit ihr Strategien für den Alltag erarbeitet, die es Julia ermöglichen, ihren Weg zu gehen. Und zwar nicht einfach den Weg, den die Norm und Gesellschaft ihr vorgeben, sondern ihren höchst individuellen und einzigartigen. 

Text: Peter Meyer und Regula Buder